Über das Kurhaus
Friedrich von Hessing (1838–1918) war in mehrerlei Hinsicht ebenso einzigartig wie das von ihm errichtete Gögginger Kurhaus. Mit den von ihm gefertigten Prothesen und Stützkonstruktionen sowie seiner Behandlungsmethode revolutionierte der gelernte Gärtner, Schreiner und Orgelbauer die Orthopädie. Trotz fehlender medizinischer Ausbildung erlangte er auf diesem Gebiet internationale Anerkennung. Für seine Verdienste wurde er unter anderen 1904 zum königlich-bayerischen Hofrat ernannt und 1913 geadelt.
1868 gründete Hessing in Augsburg eine Orthopädische Heilanstalt am Jakobertor. Bereits 1869 vergrößerte er sie und verlegte sie in das ehemalige Landesgerichtsgebäude in Göggingen. Bis 1899 konnte er die Heilanstalt zur damals größten orthopädischen Fachklinik in Europa ausbauen – mit modernster Ausstattung, prachtvollen Gesellschaftsräumen und Parkanlagen. Hessing errichtete bzw. pachtete auch Kuranstalten und Bäder in Bad Reichenhall, Bad Kissingen, Bad Bocklet und Rothenburg.
In der Gögginger Orthopädischen Heilanstalt zahlten die wohlhabenden Patienten, die zum Teil bis aus Ägypten und Amerika anreisten, viel Geld für Behandlung und Logis. Einige arme Patienten jedoch wurden von Hessing gegen ein geringes Honorar behandelt und hatten auch die Möglichkeit, ihre Behandlungskosten in den Werkstätten oder dem landwirtschaftlichen Betrieb der Heilanstalt abzuarbeiten. Manche dieser Patienten wurden zu festen Mitarbeitern.
Ungewöhnlich an der Heilanstalt war auch, dass Hessing hier eine ganzheitliche Heilmethode verfolgte. Im Gegensatz zum sonst gängigen orthopädischen Heilansatz mit Bettruhe, setzte er auf Heilung durch Bewegung mit Hilfe von Apparaten, gesunde Ernährung und die Förderung der Lebensfreude durch eine ansprechende Umgebung und Kulturgenuss. Für Letzteres ließ er das Kurhaustheater erbauen.
Auch das Kurhaus gestaltete Jean Keller in kunstfertigster Weise im Stil des Historismus. Als Vorbild dienten ihm hier im 19. Jahrhundert vor allem in Großbritannien beliebte Bauten, in denen Theatersäle bzw. Veranstaltungsräume und Wintergärten kombiniert wurden. Ein prominentes Beispiel ist etwa die 1860 errichtete „Flora Hall“ von Convent Garden in London. Üblicherweise waren in diesen Bauten Theater und Wintergarten jedoch räumlich getrennt. Im Kurhaus vereinte Jean Keller die Funktionen eines Theaters, Gesellschaftshauses und Wintergartens in nur einem Saal, den er mit einer Gusseisenkonstruktion und dicht aneinandergereihten, großen buntglasigen Fenstern anlegte. Diese Einraumlösung ist eine nennenswerte Besonderheit und nur für sehr wenige vergleichbare, heute nicht mehr erhaltene Bauten wie den „New Pavilion and Wintergarden“ in Blackpool nachweisbar.
Der Theatersaal des Kurhauses wurde einerseits als „Palmenhaus“ mit exotischen Pflanzen bestückt und konnte andererseits für Bankette, Tanzveranstaltungen, Musik- und Theatervorstellungen genutzt werden. Er war von Anfang an mit einer Bühne mit Orchestergraben, modernster Bühnentechnik sowie – für die damalige Zeit sensationell – mit Warmwasserheizung und elektrischer Raum- und Bühnenbeleuchtung ausgestattet. Mit der rückwärtig am Theatersaal angebrachten Außenbühne wurden zudem Freiluftvorstellungen im Theaterinnenhof ermöglicht.
Bereits nach etwa einem Jahr Bauzeit konnte das Kurhaus am 25. Juli 1886 mit einer Aufführung der Operette „Nanon“ von Richard Genée eröffnet werden. Die Theater- und Musikveranstaltungen im Kurhaus waren der Öffentlichkeit ebenso zugänglich wie den Patienten der Orthopädischen Heilanstalt.
Die Heilanstalt veranstaltete selbst Konzerte und Bälle. Der Theaterbetrieb, bei dem Operetten und Singspiele den Schwerpunkt im Repertoire bildeten, war verpachtet. In den Sommern von 1898 bis 1920 war die Theaterdirektion Streng-Kauß, die im Winter das Stadttheater in Heilbronn bespielte, Pächter. Siebrachte im Kurhaus vornehmlich Wiener Operetten, z. B. von Johann Strauss, Carl Zeller und Franz Lehár, zur Aufführung. Als Gegenzug für die kostenfreie Pacht hatte sie außerdem unentgeltlich „Kurmusik im Palmengarten“ zu spielen.
Neben den diversen Veranstaltungen im Theatersaal wurden auch die gastronomischen Angebote der von der Hessingschen Heilanstalt betriebenen Lokale und Cafés im Kurhaus und der zugehörigen Parkanlage rasch beliebt.
Der langjährige Pächter des Theaterbetriebs, die Theaterdirektion Streng-Kauß, ging 1920 in Konkurs. In den darauffolgenden Jahren bis 1925 übernahm der Kapellmeister des Augsburger Stadttheaters Hans von Finster den Theaterbetrieb des Kurhauses. Danach wurde das Kurhaus nur noch sporadisch bespielt, ab 1933 auch von den Theatergruppen der nationalsozialistischen Organisationen „Kraft durch Freude“ und „Deutsche Arbeitsfront“. Ab 1937 konnten wegen eines Defekts des Eisernen Vorhangs keine Theateraufführungen mehr stattfinden, so dass es im Kurhaus nur noch Tanzveranstaltungen und gelegentlich Konzerte des Orchesters der Marktgemeinde Göggingen gab. 1942 wurde der Theatersaalschließlich als Kino eingerichtet, wofür unter anderem eine Flachdecke eingezogen wurde.
1945 erhielt die „Neue Musikbühne“ das Kurhaus und führte hier Berliner Operetten auf. Die Fenster wurden zugemauert und im Park Parkplätze angelegt. Zunächst erfolgreich, ging die „Neue Musikbühne“ 1949 pleite und musste den Theaterbetrieb einstellen.
1951 wurde das Kurhaus an einen früheren Pächter verkauft, der darin Filmvorführungen, Faschingsbälle und Tanzvergnügungen veranstaltete. In diesem Zusammenhang kam es zu Einbauten, die den schönen originalen Theatersaal weitgehend verdeckten. 1972 ging das Kurhausareal in den Besitz eines Bauunternehmers über, der plante das Gebäudeensemble abzureißen und stattdessen eine Wohnanlage zu errichten. Doch bevor es dazu kommen konnte, brannte am 30. Oktober 1972 das Kurhaus.
Infolge dessen wurde das Kurhaus 1973 unter das erst im Juni desselben Jahres in Kraft getretene Bayerische Denkmalschutzgesetz gestellt. Ein Jahr später wurde das Kurhaus samt Nebengebäuden und Parkanlage von der Stadt Augsburg erworben, der Göggingen seit 1972 als Stadtteil angehört, und harrte von da an seiner weiteren Bestimmung.
Im Sommer 1988 riefen die Stadt Augsburg und der Bezirk Schwaben schließlich einen Zweckverband ins Leben, der in den folgenden Jahren das Kurhaus nach Plänen des Architekten Egon Kunz soweit wie möglich in seinem ursprünglichen Zustand rekonstruieren und instand setzen ließ und die Möglichkeiten seiner zukünftigen Nutzung diskutierte.
Im Februar 1996 erfolgte die feierliche Wiedereröffnung des Kurhauses, im Mai 1998 die des gesamten Kurhausareals – mit allen Nebengebäuden und Parkanlage –, jeweils mit zahlreichen verschiedenen Festveranstaltungen.
Von 1996 bis 2007 war das Kurhaus an die Konzertdirektion Landgraf aus Titisee-Neustadt verpachtet, die es mit Schauspiel und Musiktheater bespielte. 2008 hat die Kurhaustheater GmbH den Spielbetrieb übernommen und bietet seither in dem europaweit einzigartigen Gastspielhaus jährlich rund 180 kulturelle Veranstaltungen mit Kabarett, Konzerten, Opern, Operetten, Shows und vielem mehr.